Samstag, 9. Mai 2015

Erstens - im Julier-Gebiet



 - mit Clarissa aus Savognin

von Stefan/Aryaman Wellershaus



Erstens  Ich wandere mit der schwarzen Clarissa über die Alp d`Err 
(Zweitens steht "Wir wandern im Bergell" ist im nächsten Post - im zweiten Post - siehe rechts)
(Drittens - ein paar gemalte/gezeichnete Bilder aus dem Bergell - siehe rechts)
(Viertens - "Alp La Schera und Alp Buffalora" - siehe rechts)


– ganz anders als „die blonde Clarissa“. Meine Geschichte mit der schwarzen Clarissa hat viel Wahrheitsgehalt, obwohl Clarissa in Wirklichkeit garnicht mitgefahren ist. Bitte informiere mich, Clarissa, wenn etwas nicht richtig ist oder Du etwas nicht magst (Ma.Aryafrau(et)gmx(Punkt)de). Dieser Blog fasst - ein wenig fiktiv - zusammen, was ich über meine Reisen in Graubünden erlebt habe - na ja, eigentlich war´s noch viel mehr. Ich glaube, ich war sechs mal in diesem bewundernswerten Kanton.



Ab dem Sommer 1953 studierte ich in Freiburg mit dem Ziel, Süßwasserkunde – Limnologie – im Hochgebirge zu meinem Forschungsfach zu machen. Später erlebte ich, daß das Gehen im Hochgebirge für mich nicht möglich wurde, doch das ist etwas anderes (seht hier: http://verantwortung-fuer-mein-leben-polio.blogspot.de/2012/09/meine-polio.html ). Das Leben in den Alpen liebte ich, und auch die Völker dort, und vielleicht wäre ich später in die Himalayas gegangen, doch  . . .

Immerhin bemühte ich mich in Freiburg, die Alpen erstmal über Vorlesungen und Praktika kennen zu lernen. Allen voran Professor Max Joseph Jakob Pfannenstiel mit „Geologie der Ostalpen“ mit wunderschönen schwarz-weißen Fotos in großem Format auf der Leinwand. Ich liebte diesen Mann. Dann Professor Friedrich Oehlkers zum System der Blütenpflanzen und Professor Elster zur Hydrographie der Gebirgsgewässer.

Mein Vater hatte mir einen neuen Motorroller, eine Vespa geschenkt. In den Sommerferien fuhr ich damit in die Schweizer Berge, um Genaueres über meine Ideen zu sehen. Hochgebirgs-Limnologie ist wirklich etwas sehr Feines und Umfangreiches, aber darum geht es in diesem Bericht kaum. Meine Mutter gab mir dann noch Karten mit und ein Buch über Alpenpflanzen: Gustav Hegi, "Alpenflora", Verlag Carl Hanser, München. Von ihren Schweizer Reisen und ihrer Begeisterung für die Alpenblumen.

Der Beginn dieser Reise war sehr eigenartig: Im Umfeld von Freiburg brüteten recht viele Störche, ich habe aber gehört, daß sie nun seit langem fast verschwunden sind und nur langsam wiederkommen. In der Nordschweiz aber waren sie damals selten, und ein Ornithologenverein sammelte aus den Nestern gefallene Jungstörche um sie in der Schweiz anzusiedeln. Ich weiß nicht, ob das gelungen ist. Jedenfalls als meine Ornithologen-Freunde in Freiburg hörten, daß ich in die Schweiz reisen wollte, gaben sie mir einen solchen Jung-Storch mit und ich lieferte ihn in einem Tierpark in Solothurn ab. Vorne vor dem Schutzschild hatte meine Vespa einen Gepäckträger, und mein Storch lag die zwei Stunden der Fahrt still in einem Rucksack auf diesem Träger. Nur die Schnabelspitze sah heraus. Der Zoll merkte nichts. Zur Not hatte ich ein Gesundheits-Attest des Zoologischen Institus in Freiburg dabei.

Dann wollte ich nach Graubünden, das mir meine Eltern von ihren Reisen in den dreißiger Jahren geschildert hatten. Bis zur Stadt Chur habe ich nur eine besondere Erinnerung, da war ein Müllplatz neben der Landstraße bei Ragaz, und auf ihm saßen viele (Kolk-)Raben, was ich noch nie gesehen hatte – trotz meines ornithologischen Beobachtens seit Jahren.

Doch von Chur aus ging es eine kehrenreiche Straße durch Wälder nach oben. Meine erste Hochgebirgs-Kletterfahrt auf eigenem Fahrzeug! Oben liegt Lenzerheide, nicht so großartig, aber in der Nachbarschaft das alte Marien-Kirchlein von Lenz oder Lantsch, wie es in der rätoromanischen  Sprache heißt. Auf dem Kirchhof stehen viele schöne, kunstgeschmiedete Kreuze, und wenn ich an unsere norddeutschen Friedhöfe denke, ist das hier ein sehr reiches Land.

  
Bild 01: das Kirchlein Lantsch



Bild 02: Grabkreuze von Lantsch, das Negativ fand ich neulich in 
einem alten Karton - schade, sehr verstaubt.



Bild 03: spielende Kinder bei Lantsch.


In der Nähe ein kleiner See, und da spielen ein paar Kinder, von denen ich irgendwo eine Skizze gefunden habe. - Steile Straße hinab nach Tiefencastel, und dahinter wieder hoch in´s Oberhalbstein, die Gegend, in der Savognin liegt, ehemals der Lieblingsferienort meiner Eltern. Ins Hotel Pianta kehre ich ein und werde sehr erfreut von Alfons Pianta und seiner zierlichen Frau begrüßt – sie erinnern sich an meine Eltern, obwohl das fast 20 Jahre her ist. Oben im Haus bekomme ich ein kleines Zimmer mit weitem Ausblick ins Tal mit dem Fluß Julia.


Bild 04: Alfons Pianta in seiner Beiz im Hotel.


Eine schöne Überraschung zum Frühstück: ein prächtiger Frühstücksraum mit südländischen Skulpturen und bunten Kerzenleuchtern. „Wo kommt das her?“ frage ich den Wirt, „das hat meine Frau mit in unsere Ehe gebracht, sie stammt aus Venedig.“ Ich lerne auch die erwachsenen Kinder kennen, den Sohn und die Tochter Clarissa. Beide Studenten der Medizin.


Bild 05: Das Ski-Hotel Pianta in Savognin,
im Hintergrund die Spitze des Piz d´Err.


Clarissa fragt mich bei einem Gespräch, ob sie mir die Gegend zeigen darf, sie hat auch einen Roller: „eine Lambretta, die sind fitter in den Bergen.“ Von Clarissa habe ich kein Foto, sie ist drei Jahre älter als ich, und als ich ihr von meinen wässrigen Hochgebirgs-Ideen erzähle, sagt sie, „da kann ich dir gewiß einiges zeigen, überhaupt die Pflanzen und Tiere hier. Wir können zusammen fahren, ich vorweg, du folgst mir, weil du die Fahrweise auf den Wald- und Felsstraßen noch nicht so kennst. Oh, das macht mir schon jetzt viel Spaß, nur daran zu denken.“ Wir packen uns Zelte auf und ein wenig Nahrung, Ferngläser, Karten, Probengläser, Decken – „sehr warme Militär-Decken, noch aus den Kriegszeiten“ –, und dann noch etwas, das mich aus meinen alten Wünschen begeistert: Clarissa sagt nämlich, „es kann sehr kalt werden, man weiß es vorher nicht. Ich ziehe mir ein langes, warmes Wollkleid an und dicke, warme Strümpfe drunter, das ganze Bein deckend. Möchtest du auch? Ich kann dir das leihen. Du mit deinen kurzen Lederhosen, das ist zu wenig, oder?“



Bild 06: Clarissa auf Lambretta 



Bild 07: Stefan auf Vespa


Ja, schon weil ich die Clarissa so sehr mag, möchte ich das auch anziehen, passt bestimmt zum Roller. Diese bayerisch-kitschige Lederhose fand ich noch nie gut, nur robust. Die echten, kurzen, die die Knaben umschlagen um noch sportlicher zu wirken, die mag und mochte ich, aber diese hier? – fast bis zum Knie runtereichend? So bekam ich also ein langes und weites und dickes Kleid von Clarissa und ein Paar lange Wollstrümpfe, die oben zwei Knöpfe haben, mit denen wir sie an Loch-Gummibänder anknüpfen – damit sie nicht runter rutschen. Und das auf unseren Hochgebirgs-Rollern, Lambretta und Vespa.

„Was ich gerne möchte? Bis zur Alp d´Err fahren, jedenfalls reicht eine Camion-Straße bis dahin rauf.“ Camion nennen sie in der Schweiz einen Lastwagen - und d`Err spricht sie „Dörr“ aus. Von Tinzen oder Tinizong (im Juliertal) aus fuhren wir in Richtung zur Alp d´Err. Na, diese Straße durch einen Tannenwald war nun recht unbenutzt und von der Natur zerrüttet und von kleinen Bächen zerfurcht. Plötzlich macht Clarissa einen Schlenker und stoppt, was ist da? „Sieh mal, ein Salamander, ein Alpensalamander, schwarz wie Kohlen – oder Kolk-Raben.“ Und bald wurden es mehr, die Straße lag neben einem langsamen Bach, und mit der Feuchte im Bach-Umkreis haben diese Tiere wohl etwas zu tun.



Bild 08: Alpensalamander


Ein Rabe flog hoch und trug einen Alpensalamander im Schnabel – oh tat mir das leid. Doch das ist deren Sache, da sollte ich mich nicht einmal gefühlsmäßig einmischen.

„Alp d´Err? Was ist das?“ „Sieh mal auf die Karte, eine Alp, eine Sommersiedlung für junges Vieh, in Deutschland sagt ihr Alm.“ Schließlich hörte der Tannenwald auf und ein weites Tal mit einigen Kühen war da, und nach einigen Kilometern ein großer Stall und ein Wohnhaus, „die Alp.“ Clarissa kannte die Sennen, und wir bekamen ein Glas wirklich gute Milch.  Sie sprachen miteinander rumantsch (räto-romanisch) – die Sprache hier, die dem Lateinischen ähnlich ist –, doch trotz vieler Jahre Lateinunterricht verstand ich nichts. Gedruckt kann ich etwas ausmachen, doch gesprochen? Nichts. Clarissa´s Muttersprache, obwohl ihre Mutter ja Italienerin ist.



Bild 09: Piz d`Err, oben Schnee 


Oberhalb der Sennhäuser bauten wir unser Zelt auf, das ging, denn wir beide hatten Militär-Zeltbahnen, die man nur mit Knöpfen verbinden musste, um ein Zelt zu bekommen, für zwei reichend. Die Decken als Unterlagen, und wir beide zusammen, eingewickelt in geöffnete Schlafsäcke. Am frühen, kalten Morgen gingen wir zum Bach, „der durch die Wiesen floss, . . . “ wuschen wir uns wie seinerzeit Parzival als Jüngling. Ich hatte einen Teil dieses Gedichtes in der Schulzeit gelernt und geliebt, doch nun wusste ich nicht mehr viel. „ . . .  wusch er sich alle Morgen – und wusste nichts von Sorgen.“ Ja das stimmte auch für uns nun.

Clarissa nahm mich an die Hand und zog mich zu ein paar Steinplatten, die auf der Wiese lagen und drehte sie um. „Was mag da wohl drunter liegen?“ Dann fanden wir´s. Unter einem Stein lagen fünf Kälte-steife Kreuzottern, gemütlich zusammen. Sie konnten sich nicht bewegen, doch als wir sie den Sonnenstrahlen aussetzten, schlängelten sie sich etwas umher. „Die ganze Alp ist voll mit diesen süßen Tierchen.“

Clarissa setzt sich auf das knappe Gras und legt die Beine nebeneinander auf die Seite und zieht den Rock etwas hoch und einen Strumpf bis zum Knie runter. Sie legt eine kältesteife Otter auf ihren nackten Oberschenkel. Und lächelt mich an, „schau mal, hast du etwa Angst?“. Immer noch ist es zu kalt für die Tiere, aber auf dem Schenkel wird es dieser Schlange warm, und sie schlängelt sich fort. Doch, etwas schaudert es mich, immerhin sind diese Tiere giftig. Und haben diese Warn-Zeichnung auf ihrem Rücken. Das rührt irgend etwas instinktiv-Ängstliches an in mir. „Die können nur stechen, wenn es wärmer ist und wenn sie aufgeringelt oder im ZickZack liegen, dann schlagen sie los. Und stechen dich mit ihren beiden Stechzähnen, sie beißen nicht, stechen nur. Und lassen schnell etwas von ihrem Gift in die Wunde schießen. Und verschwinden eifrig. Und für einen erwachsenen Menschen ist das nicht weiter schädlich – nur der Schrecken und etwas Schwellung und Schmerz. Da hat das scharfe Muster auf ihrem Rücken gewiß eine Bedeutung, oder?“


Bild 10: Clarissa mit Kreuzotter




Bild 11: Clarissa mit Kreuzotter
auf dem Schenkel


Ich hab´s hier mal gezeichnet. Da seht ihr auch Clarissa´s Schlüpfer, den unteren Rand in feinen weißen Spitzen, süß und im starken Kontrast zur Schlange. „Ja, so können wir Frauen auch sein, süß und gefährlich,“ – „ . . . oder gefährdet,“ sage ich, nun lachend. In einem Buch über Indien hatte Clarissa ein paar Bilder eines mittelalterlichen Tempels gesehen, steinerne Skulpturen, „da hebt eine Frau ihren Rock, und was kriecht auf ihrem Schenkel? – ein Skorpion. Das hat bei denen bestimmt eine Bedeutung – aber welche? Skorpion oder Kreuzotter – beide mit Giftstacheln, Gefahr.“

„Lass uns mal die Alpenflora betrachten, und dann bekommen wir vielleicht einen Kaffee bei den Sennen. Schau, da oben auf dem vorstehenden Felsen ist ein Edelweiß. Doch lass es stehen. Ich mag es nicht, wenn sie immer abgepflückt werden, so aus alter Sitte, ausbeuterisch. Ich finde es irgendwie unhöflich gegenüber den Blumen.“ Ich mag Clarissa´s Haltung und zeichne das Büschel, wie es da über dem Abgrund fast schwebt. Clarissa spricht kein Schweizerdeutsch sondern klares Hochdeutsch mit schöner italienischer Melodie. Sie sagt nicht kehlig „Ätuwieß“ – wie ich es neulich in Bern, auf einem Pflanzenmarkt gehört habe – sondern Edelweiß. Meine Zeichnung ist nichts geworden.

Auf unseren Wanderungen über die Alp und durch die Seitentäler finden wir die große Buntheit der Alpenflora – nicht nur die knall-roten Alpenrosen sondern auch viele kleine wie Soldanellen, viele Enzian-Arten, blaue, rote und gelbe . . .



Bild 12: Foto Schwalbenschwanz-Enzian Gentiana asclepiacea


Oder zum Beispiel die einen halben Meter hohen Gelben Enziane (Gentiana lutea), aus deren Pfahlwurzeln sie den Enzian-Schnaps brennen. Auch mit den ähnlichen Purpur-, dem pannonischen und dem blaßgelben, gepunkteten Enzian soll das erfolgreich sein. Wir finden einige gelbe zusammen an versteckter Stelle, doch Clarissa meint, zum Brennen nehmen sie keinen wildwachsenden, sonst wären die bald verbraucht. Sondern sie haben eine Gärtnerei-Wirtschaft für deren Anbau.


Bild 13: gelber Enzian, Gentiana lutea.


 
 Bild 14: Flasche Bayerischer Enzian – 
als Beispiel der genüßlichen Anwendung 
Dank an die Enziane.


Clarissa wünscht sich, daß jemand mal einen Alpenblumengarten anlegt, mit vielen verschiedenen Arten, zum Ansehen und Studieren – und genießen. Ich denke, das sollte mit einem Teich und wilden Bach verbunden sein, denn da leben besondere Tiere und Pflanzen, die wir im Tiefland nicht kennen. Einerseits ein Garten-Bereich mit eher saurem Boden – für die kristallinen West-Alpen –, andererseits mit eher basischem Boden – für die östlichen Kalkalpen (habe ich von Professor Pfannenstiel gelernt).

Irgendwo sehe ich alte Industrieanlagen auf den Wiesenhängen, verlassen, Ruinen, „hier haben sie mal Mangan-Erze gefördert, Mangan zur Härtung des Stahls. Von hier aus ging die Camion-Straße nach Tinizong im Juliertal.“ Die Erz-Halde sieht noch heute dunkelblau aus, eben wie Mangan-Erze aussehen. [*) und Google-Earth: Parsettens]

Später schenkte mir ein Freund das Buch „Naturbilder aus den Rhätischen Alpen.“



Bild 15: Titelbild des Buches


Auf Seite 140 steht „Auf der rechten Seite öffnet sich bei Tinzen die Alp Err. Sie spaltet sich in die Ochsenalp (wo wir wohl sind) und das hintere Errthal. In ersterer, einem schönen Weidethal, trieb man ehemals Bergbau auf Eisen, Kupferkies und Mangan, auch fand sich in alten Grubenbauten ausgezeichneter Allophyn.“ (für Allophyn seht Wikipedia)

Von Geologie weiß ich nichts, doch in dieser Gegend finde ich zwei auffällige Steingebilde: häufiger liegen grüne Kiesel herum, auch ein Stück von zwanzig Zentimeter Größe, das ich mitnehme. Ich höre, das nennt man Serpentin. Und was ganz Eigenartiges aus Schiefer, würde ich sagen, das ich hier mal zeichne:


Bild 16: Zick-Zack-Schiefer vom Julierpass - 

. . .  auch 20 cm lang, ich nehme ihn mit.

Ein Junge, der auf der Alp mit lebt und das Senn-Werk lernt, spricht kein deutsch, doch Clarissa kann mit ihm auf Französisch sprechen.  Er begleitet uns und meint, er wolle von uns die Alpenblumen erkennen lernen. Clarissa gelang es, ihm ein paar Gedanken und Ziele des Naturschutzes zu vermitteln, Schutz der Blumen und Tiere. Er hat auch etwas Schrecken vor den Kreuzottern (vipère commune), doch er weiß, wie man sie vermeidet.


 

Bild 17: der Bub´


Übrigens hörten wir überall das Geschrei der Murmeltiere, die wir vor ihren Erdlöchern sitzen sehen, und die schnell in die Löcher sausen, wenn wir zu nahe kommen. Ihr „Geschrei“ erinnert mich an das Pfeifen der Mäusebussarde bei uns zuhause.

Der Bub´ zeigt uns etwas Besonderes: etwas abseits hat er den Schädel eines Steinbocks entdeckt und führt uns dahin.


 Bild 18: Steinbock-Schädel


Jemand hatte das eine Horn abgezogen und daneben gelegt. So sehen wir, wie im Leben das Hornige auf dem Knochenzapfen steckt.







Bild 19: Steinböcke 


In der Ferne auf einem Felskamm sehen wir ein paar Steinböcke, zwei kämpfen gegen einander, doch ich vermute, sie werfen sich nicht gegenseitig runter, ist kein Kampf im Sinne eines Menschen-Kampfes. Große Hörner haben sie, mit langer Hebelwirkung, und Clarissa erzählt von einem Bauernhof, den sie mal im Vintschgau besucht hat, im Val Ultimo (bei Meran), wo ein solches Horn rumlag, mit Trompeten-Mundstück in der Spitze. Jemand blies darauf, und er konnte alle Töne, nicht nur die paar in der Naturtonreihe, darauf blasen – das Horn war ohne Ventile, und dennoch. War das eine Art Natur-Clarion? Hat das mit den Knubbeln am Horn zu tun? Oder mit seinem besonderen Können? Aus Savognin schickt Clarissa mir später diese kopierte Zeichnung für meinen Bericht.



Bild 20: Steinbock-Horn mit Mundstück


Wir bleiben ein paar Tage hier auf der Alp. Am zweiten Tage begegnen wir einem eigenartigen Mann, denken wir jedenfalls. Er hat ein sehr dunkles Gesicht, trägt einen Rucksack und ein Kofferradio. Offensichtlich ein Ausländer, doch bald merken wir, er ist Arzt in einer Klinik in Zürich und spricht gut deutsch. Er sagt, er ist aus Indien und sein Name sei Visarjanam [Wisardschanam], doch den habe ihm sein Guru gegeben, das ist eine Art geistiger Lehrer – in Indien, sagt er. Ansich heißt er Dr. Subramanyam Bhattathiri, das schreibt er uns alles auf, denn das hätte ich nie behalten können. Er hat ein paar Tage Urlaub genommen und bewandert nun die hohen Berglagen mit seinem Kofferradio um indische Sender über Kurzwelle zu hören. Seine heimatliche Musik ist nämlich in den Tälern nicht zu empfangen. „Wenn ich einen Platz mit gutem Empfang gefunden habe, werde ich dort zelten und nur meine Heimat anhören.“  

Wir fragen ihn nach seiner Musik und Muttersprache. Das sei alles aus Südindien, Tamil-Land und Kerala, sagt er. Uns ist das so sehr fremd. Er lädt uns ein, wenn wir beobachten, daß er an einem festen Platz bleibt und sein Zelt aufgebaut hat, ihn zu besuchen und auch Indien anzuhören.  **)


Bild 21: kleiner Wasserfall


Der Junge führt uns zu einem kleinen Wasserfall, „du sagst doch, daß du Wassertiere suchst, hier guck doch mal unter das fallende Wasser, ob da wohl jemand wohnt?“ Unter dem Fall ist ein Teich mit klarem Wasser und schönen Kieseln am Grund. Überall kriechen kleine Tiere herum, Würmer und Fliegenlarven. Die Würmer sehen ganz besonders aus, ich habe sie im Schwarzwald beim Praktikum mit Professor Elster in Brunnen auch schon gesehen, genannt Planarien. Und die Fliegenlarven haben sich eine Röhre aus kleinen Kieselchen zusammengeklebt, man nennt sie Köcherfliegen-Larven. Der Bub´ und Clarissa sind sehr erstaunt, was wir alles sehen, was hier lebt. Aber  Fische, an die viele Leute zuerst denken, sind hier nicht.


Bild 22: Planarie, während des Studiums im Schwarzwald gezeichnet -




Bild 23 - und diesen Wasserfloh auch.


Dr. Visarjanam schlägt hoch an einem nach Südosten offenen Hang sein winziges Zelt auf und winkt uns zu. Wir klettern hin und bekommen die wunderlichste Musik zu hören, oft gestört durch allerlei atmosphärisches Knurren und Rasseln. „Genau genommen weiß ich nicht, was Ihre eigentliche Musik ist, so viele Störungen sind drin,“ sagt Clarissa. Doch der Doktor hebt immer seine Hand, wenn der Empfang gut ist, so können wir sortieren. (hier könnt ihr solche Musik hören: http://wurzeln-in-indien.blogspot.de/ , unten sind ein paar Links).

Um des Doktor´s Lagerplatz fliegen ein paar Raben und machen viel Geschrei, es sind wohl die Jungen. Von einem erwachsenen Raben seht ihr hier eine Zeichnung.


Bild 24: Rabe.


Wir sehen in den leicht angestauten Bachlauf und finden ein paar Köcherfliegenlarven, von den Biologen Trichoptéra genannt. Die Larve baut sich so eine Röhre, und später schlüpft das erwachsene Tier, das sehr zart und angenehm aussieht. Wir sehen hier welche rumfliegen und -sitzen.


Bild 25: Köcherfliegenlarve, Trichoptera 



 Bild 26: Köcherfliege, Trichoptera


Einmal treffen wir eine große Familie, die von Savognin herauf gewandert ist, Sommergäste aus Norddeutschland. Zwei der Jungs habe ich hier abgezeichnet. Der größere beobachtet Vögel, „ich bin ein Vogelliebhaber“, was man schon an seinem Fernglas sehen kann. Wie wir uns die Wassertiere in einer Glasschale ansehen, dreht er sein Fernglas um und sieht falsch herum hinein, auf die Tierchen. „Sieh mal, so kann man ein Fernglas als Lupe benutzen.“ Und das geht recht gut.


Bild 27: die zwei Jungs aus Norddeutschland.


„Ich möchte mal eine Schneeammer sehen, gibt es die hier?“ „Nein,“ sagt Clarissa, „da hast du die Namen verwechselt, hier gibt es die Schnee-Finken, die leben jetzt im Sommer ganz weit oben, da oben in den kahlen Felsgebieten. Schneeammern leben in Skandinavien. Die Schneeammern sind fast ganz weiß, die Schneefinken sind eher bunt.“´

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*) Parsettens:


Den 12-jährigen Master Aantharama hier: http://www.youtube.com/watch?v=xq24T-dcxc8 , ein paar Jahre älter hier: http://www.youtube.com/watch?v=kWdBypDWDdc&list=PL17883759EBB8E5A7 .


- - und noch viel mehr Carnatisches (das heißt südindisch-Klassisches) bei youtube, aus einer sehr reichen Tradition.




Es geht hier weiter: Zweitens Wir wandern im Bergell“: oben im rechten Seitenstreifen anklicken odwer hier: http://savognin-b-1953.blogspot.de/2013/05/zweitens-im-bergell.html .





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Zweitens - im Bergell


Zweitens Wir wandern im Bergell

(Erstens steht "Ich wandere mit der schwarzen Clarissa über die Alp d`Err" im ersten Post - siehe rechts)
(Drittens - kommen ein paar gemalte/gezeichnete "Bilder aus dem Bergell" - siehe rechts)
(Viertens - "Alp La Schera und Alp Buffalora")




Nachdem wir viele Alpenblumen gesehen haben, ist es so viel, daß ich trotz Alpen-Bestimmungsbuch recht verwirrt bin. Da sagt Clarissa, „es gibt eine Steinbrech-Art, die wird von den Botanikern Saxifraga cotyledon genannt, Pracht-Steinbrech. Vor ein paar Jahren war ein Botaniker aus Genf bei uns und hat vom Hotel aus eine Reihe von Exkursionen in das alpine Graubünden gemacht. Er suchte nach diesen Pflanzen und sagte, in den meisten Büchern ist diese Art nicht erwähnt. Er sah in das Buch, das die Sennen haben, von Professor G. Theobald aus Chur, „Naturbilder aus den Rhätischen Alpen“ (veröffentlicht in Chur 1862). Da fand er eine Bemerkung auf Seite 218 (Clarissa hat das in ihr Alpenblumenbuch notiert): imTal der Albigna (im Bergell, ganz in der Nähe von Vicosprano) geht er über eine Brücke und beobachtet, Mit unglaublicher Schnelligkeit eilt der wilde Bergstrom in wiederholten Fällen der Ebene zu, ein lebhafter Luftzug begleitet ihn; auf der Brücke wird man von dem aufspritzenden Schaum benetzt, aber über die weissschäumende Flut hängen die dunklen Aeste der Tannen, die lange Blütenrispen der Saxifraga cotyledon nicken und schwanken in dem beständigen Thau, der sie ernährt. Man übersieht hier die ganze Länge der zahlreichen Fälle und Stromschnellen bis zu dem grossen Fall, dessen senkrechte Wände das Landschaftsbild schliessen.

Und Clarissa will mit mir dahin fahren. Nach ein paar Tagen auf der Alp d´Err reisen wir – noch immer mit unseren zwei Rollern – den Julierpass hoch, die engen Kehren bis die Straße weiter oben breiter und grader wird. Oben steht kein Wald mehr, nur noch einzelne Lärchen und Zirbelkiefern.



Bild 28: Alte Zirbelkiefer und einige Lärchen am Julierpass,
dieses Foto habe ich ein paar Jahre später mal gemacht.


Vorher sehen wir etwas oberhalb am Hang ein altes Gehöft, das unbewohnt ist. Wir gehen hinauf und sehen noch die Nutzung der Ställe vor kurzem für´s Vieh. Das Besondere ist: wo Mist gelagert ist und Jauche aus dem Stall den Hang hinunter fließt, hat sich ein Gebüsch von blau blühenden Eisenhut-Stauden (Aconitum napellus) angesiedelt. Ein sehr schönes Bild, am liebsten hätte ich das gemalt, doch mein Können reicht nicht aus, dafür ein Bild aus Rumänien von Florafreak (Flickr):




Bild 29: Aconitum napellus, Foto bei Flickr, 
von Florafreak, Standort in Rumänien, die 
Blütenzweige am Julier waren länger.


Eisenhut ist sehr giftig, später höre ich, diese Art soll das giftigste Kraut sein, das sich in Europa findet. Na ja, wir berühren sowieso nichts und achten diese kräftige Waffe dieser Art, sich zu erhalten. Und werden belohnt durch die Schönheit.

In späteren Jahren fahre ich diese Strecke noch einige Male, und da enstand auch das Foto der alten Zirbelkiefer. Unten gelangen wir ins Engadin bei Silvaplana, wo es den obersten Lauf des Flusses Inn mit einigen Dörfern und Städten gibt. Wir fahren gleich weiter flussaufwärts und finden den Ort Maloja, wo der Maler Segantini gewohnt hat. „Er lebte auch für acht Jahre in Savognin“. Ich mag das folgende Bild seit Langem, ich glaube, es entstand am Comer See, der nicht weit von hier in Italien liegt.



Bild 30: am Comer See von Giovanni Segantini,
"Ave  Maria  traghettando  il  lago"


Wir sehen uns aber nichts von seinen Stätten an. Statt dessen finden wir den Beginn des Bergell, oder Bregaglia auf Italienisch. Im Bergell sprechen sie italienisch – auch deutsch. Hinter dem Dorf  Maloja ist der Maloja-Pass, von dem schon meine Eltern geschwärmt haben. Eigentlich ist das kein üblicher Pass sondern eine Felsstufe, an der die neue Straße in vielen Windungen nach unten führt. Wir halten und sehen uns dieses Wunderwerk der alpinen Gletscher an. Bleiben gewiß zwei Stunden hier. Am oberen Rand steht ein Turm. Die Felsstufe soll 350 m hoch sein.

Am Rand der Felststufe stehen wir und sehen tief ins Bergell, unten liegt am Fluß Maira das Dörfchen Cavril. „da unten,“ sagt Clarissa, „auf den Schottern des Flußufers hat mal ein Freund von mir mit einer Freundin zusammen gesessen und alles bewundert, die Liebe, die bunten Blumen, die im Schotter blühten, den reinen Fluß, die Berge  . . .  und die Liebe.“

„Hier zwischen den Kiefern zeige ich dir eigenartige, rund Löcher im Fels, sogenannte Gletschermühlen.“ Tatsächlich, da sind diese Löcher, manche drei Meter im Durchmesser, die meisten kleiner, und bis zu einigen Metern tief. Clarissa sagt, „die Geologen haben gefunden, daß dieses hier mal eine Art Fallstufe für einen Gletscher war. Wie ein Wasserfall in ganz langsam. Und damit muß das zusammenhängen.“

In späteren Jahren habe ich über Turbulenzen (Verwirbelungen) im Wasser geforscht, und da fiel mir ein, diese Gletschermühlen, in denen ein paar runde Steine liegen, sind durch die langsamen Turbulenzen des Gletschereises entstanden: das fließende Eis hat die Steine genommen und damit die Löcher gebohrt und ausgeschliffen – so ungefähr. Ich zeige hier ein paar Bilder zu diesem Thema. Sowohl die Steine als auch die Wände der Mühlen haben Kratzer, die durch die Bewegungen erzeugt wurden.




Bild 31: Gletschermühle, A-A = 2 bis 3 m Durchmesser, wir sehen in das Loch, 
unten steht Wasser. Mehrere Bohrungen überschneiden sich.



Einmal habe ich einen Tropfen Tinte (die aus schwebenden, sehr kleinen Teilchen besteht) auf eine Wasserfläche fallen gelassen und beobachtet, was sich in den folgenden Sekunden bildete, seht das Bild 32. So ähnlich mögen auch die Verwirbelungen im fließenden Eis geschehen sein.


Bild 32: Turbulenz im Wasser, 
Tintentropfen im Wasserglas, nachher 
abgezeichnet




Bild 33: Turbulenz im Bach bei Soglio,
das Wasser formt wirbelnd diesen weichen Fels.





Bild 34: sehr langsame Turbulenz im Felsen




Bild 35: sehr langsame Turbulenz im Fels,
vergilbtes Maronen-Blatt und abgefallene männliche Maronenblüten



Bild 36: Nessel-Seide, Cuscuta europaea, bei Soglio,
wächst auf Brennessel  ist das auch eine


Art von Turbulenz?


Dann fahren wir die Maloja-Passstraße hinunter ins Bergell, aber es wird Abend, und wir fahren hinauf in ein Seitental und übernachten in einer unbenutzten Hirtenhütte, wo eine Feuerstelle ist, auf der wir es uns warm machen. Am Morgen fahren wir talwärts nach Bondo. Doch bei Vicosoprano sehen wir in das Albigna-Tal hinein und denken, hier die Saxifragen zu finden. Doch hier wird gerade heftig gebaut, wie  wir hören, wollen sie da oben einen Staudamm bauen – eben oberhalb des großen Wasserfalls, den Professor Theobald beschrieb, „... dessen senkrechte Wände das Landschaftsbild schließen.“ Oben auf diese Wand wird die Staumauer gesetzt. Das ist uns zu unruhig, wir fahren weiter und besuchen im Dörfchen Bondo die Kirche. Da sind mittelalterliche Gemälde an den Wänden. Hier ein Foto von innen:



Bild 37: Die kleine Kirche San Martino in Bondo,
innen Wandgemälde aus dem 15. Jahrhundert.
Das Bild aus dem Internet ist leider unscharf 


Wir wundern uns über die Dinge, die die Apostel während des Abendmals essen: Krebse und sowas.

Unter der Bank finden wir einen Zettel, handbeschrieben, wohl aus einer Tasche gefallen. Gedichte:

13
Du läufst durch die ganze Welt
– reisen, lesen, schauen –
aber du bleibst allein mit deinem Erleben.

doch plötzlich ist jemand da:
„du hast so viel zu geben, daß du schon fast überläufst“
Ist das nicht ein glücklicher Lohn?


15
Wir trafen uns zwischen den hohen Bergen;
der Piz Badile – hart und scharf wie ein Messer, aus Granit –
war Zeuge unserer Liebe
(oder eher ihres zaghaften Beginns).
Er steht unerschütterlich;
aber wir ließen uns erschüttern –
weich, wie Lebendiges eben ist,
und Liebendes eben ist.


16
„Das Kirchlein von Bondo birgt
ein schönes Geheimnis“;

Mittelalterliche Bilder an den Wänden,
ausgegraben aus zentimeterdicken Putzschichten
– so wie unsere Liebe aus zentimeterdicken, alten Eheschichten.

Es standen da noch viel mehr Gedichte, zum Schluß noch dieses:


9
Ich hab´ dich verstoßen aus meinem Leben,
um die alte Freundschaft, die Treue,
und die Ordnung, und die Sicherheit
zu retten.

Aber du bist noch da; täglich, immer  . . . .
auch ich träume zwar nicht des Nachts von dir,
doch am Tage bist du mehr hier als alles andere,
– als alle anderen,
– und das schon seit Monaten!



– ein Liebesabschied, oder? Und dann stand da noch, „Rosmarie, ich liebe dich.“

Es berührt uns sehr, und Clarissa legt ihren Arm um mich und küsst mich unter Tränen. „Welche Tragik und Trauer da wohl war?“



Bild 38: das Kirchlein von Bondo von außen,
auch hier noch ein paar Bilder aus dem 15. Jahrhundert.
Das Foto fand ich im Internet.


Oberhalb von Bondo liegt das Dörfchen Soglio. Dort nehmen wir ein Zimmer im  Häuschen der dritten Zeichnung in der Sammlung Drittens - Zeichnungen aus dem Bergell. Wir wollen von hier aus die Prachtsteinbreche suchen. Und anderes. Und sehen uns am Morgen eine sehr detaillierte Karte an. Wir wandern in der Nähe des Dorfes umher und kommen zu einem Wasserfall, an dem viele Arten von lebendigen Turbulenzen zu sehen sind. Die Fotos 33 bis 36 stammen von diesem Rundgang, 33 von diesem Wasserfal.

Ich male ein paar Ansichten, und am meisten male ich die gegenüberliegende Fels- und Bergkette. Da ist der Piz Badile, der schon in dem Gedicht erwähnt war. Wir hatten den Zettel mitgenommen, weil er uns verloren, verschmutzt und verlassen vorkam.

Am nächsten Morgen stehen wir noch früher auf als meistens und fahren auf die andere Seite des Tales in die Bondasca-Schlucht. Das ist nun wirklich eine Schlucht, eng und mit tosendem Wasser. Eine Waldstraße geht weit hinein in dieses Tal, und hoch hinauf, ich glaube bis an die Sciora-Hütte. Wir fahren diese Straße, bis wir, noch am Anfang des Tales, an eine Brücke kommen. Hier ist es so wie der Professor Theobald das vor 120 Jahren über seine Wanderung in die Albigna-Schlucht beschrieben hat. Sie liegt nur wenige km entfernt von der Bondasca-Schlucht, ein Parallel-Fluß sozusagen:

„Mit unglaublicher Schnelligkeit eilt der wilde Bergstrom in wiederholten Fällen der Ebene zu, ein lebhafter Luftzug begleitet ihn; auf der Brücke wird man von dem aufspritzenden Schaum benetzt, aber über die weissschäumende Flut hängen die dunklen Aeste der Tannen, die langen Blütenrispen der Saxifraga cotyledon nicken und schwanken in dem beständigen Thau, der sie ernährt.“ Ja, und hier sehen wir die Prachtsteinbreche nun auch. Unter und neben der hohen Brücke wachsen sie an den steilen und düsteren Felswänden, weit entfernt von jeder menschlichen Hand, „wohl bewahrt vor der verlangenden Hand (dass der Naturschutz-Gesellschaft um deren Erhaltung nicht bange zu sein braucht)“, wie wir in einer anderen Schrift finden.


 

Bild 39: Saxifraga cotyledon im Aostatal,
im Web gefunden, ich danke dem Fotografen


Unter der Brücke des Bondasca-Baches wurzeln die Pflanzen in Fels-Spalten, ganz allein.

„Das ist ja ein prächtiger Name, „Saxifraga“ = Felsbrecherin, cotyledon = Keimblatt, doch wieso dieser Name?“ Wir lassen die Roller hier stehen und gehen zu Fuß die Straße weiter. Bald wird der Wald dünn und hört dann ganz auf. Wir finden ein halbes Meter hohe, blaue Blumen, „Milchlattich nennen wir die, Mulgedium alpinum.“ Die hatte ich schon mal im Schwarzwald gesehen, bei Titisee. Wir kommen in eine weite muldenartige Fläche, die sich nach oben in Eis und Schnee und Felsberge ausdehnt, die Sciora-Gruppe, ausdehnt, dazwischen Weiden und ein Haus, die Sciora-Hütte, und rechts der dolchartige Piz Badile.

Am nächsten Tag besuchen wir das Grenzdorf Castasegna, wo wir übernachten. Hinter der Grenze nach Italien kommt das Städtchen Chiavenna und danach der Comer See, dort führt Clarissa uns 50 km weiter südlich zur sehr edlen Villa Carlotta in Tremezza, ein schlossartiges Hotel und Museum, wo wir Stunden lang viele schöne Skulpturen bewundern, und besonders „Amor und Psyche“, von Antonio Canova um 1800 geschaffen. Später höre ich, daß es ein anderes Stück im Louvre ín Paris und eines in der Eremitage in St. Petersburg gibt.





Bild 40: „Amore e Psyche“ von Antonio Canova nach dem 
Roman „Der Goldenen Esel“ von Apuleius.
Auch dieses Foto ist aus dem Web, denn 
mein eigenes ist mir verloren gegangen.


Vom Comer See fahren wir zurück nach Castasegna und am nächsten Tag wieder rauf nach Soglio, wo wir drei Tage bleiben und in der Umgebung umherwandern. An der Straße, die wir nach oben nach Soglio fahren, sind Wälder von Maronenbäumen, eher Plantagen, denn seit alter Zeit ist das die wichtigste Einkunft der Soglio-Leute, auch Ziegenkäse. Da ist ein Ziegenkäseladen, den zwei Basler unter dem Namen Lateria führen. Wir zeigen der Frau die gefundenen Gedichte, und sie schreit vor Freude auf, denn ein geliebter Freund hatte sie geschrieben, er hatte sie wohl verloren, als sie mal zusammen in dem Kirchlein saßen.

Gezeichnete Bilder aus Soglio und Castasegna findet Ihr unter  Drittens - Zeichnungen aus dem Bergell (seht rechts oben auf der Seitenleiste)

Auf dem Weg zurück nach Savognin besuchen wir – noch im Bergell – das Grab von Alberto Giacometti im Dörfchen Borgonovo, der große Bildhauer, er hat sich selbst auf der Grabplatte dargestellt, und Clarissa meint, „den Stil hat er den Bergen über seinem Dorf abgeguckt, dem Bondasca-Kamm von dieser Seite aus gesehen., von der Nordseite.“




Bild 41: Das von Alberto Giacometti für sich selbst geformte 
Grab in Borgonovo




Bild 42: Der Bondasca-Kamm von Borgonovo, von Osten 
aus gesehen - Giacometti´s Anregung?


Am Julierpass besuchen wir noch mal die Eisenhut-Pflanzen neben dem alten Stall und sind abends wieder im Hotel Pianta. Ein paar Jahre später schenkt mir ein Freund das Buch von Professor Theobald – so viele Jahre nachdem es gedruckt wurde!


Den ersten Teil meines Graubünden-Berichtes seht Ihr hier: Erstens - im Julier-Gebiet:
http://savognin-b-1953.blogspot.de/2013/05/erstens-im-julier-gebiet.html .




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Drittens - Zeichnungen aus dem Bergell




Meine geliebtesten Bilder aus Castasegna und Soglio


In den Sommern 1984 und 1985 war ich länger in Bergell und habe ein paar Bilder auf´s Papier gebracht. Für die Technik mit der Rohrfeder und Skriptol bin ich dem Maler Ernst Duttman dankbar.


Das Dorf Soglio (Füllfeder) 

Soglio (Füllfeder, Sepia) 

Soglio (Füllfeder) 

Castasegna (Füllfeder) 

Soglio (Rohrfeder)

Soglio (Füllfeder) 

Castasegna, Hinterhof (Rohrfeder) 

  Soglio (Rohrfeder)


in Soglio (Bleistift) 

Soglio - oben der Piz Badile
(Rohrfeder und Tusche) 


(Rohrfeder)

(Füllfeder, Sepia) 

(Füllfeder)


Das Vorlagenbild ist nicht von mir sondern von Andrzej Stajer und zeigt die Region Khumbu Himal, Blick auf den Ama Dablam-Berg (6856 m) in Nepal in den Himalayas. Dort sind die Berge viel steiler und schärfer als in Graubünden (seht http://de.wikipedia.org/wiki/Khumbu).